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Schwaebische.de | 25. Februar 2015


Den Stadtplan im Kopf

Kurt Reinert ist blind – Er orientiert sich mit Hilfe seines Blindenstocks und kennt jede Stolperstelle

Lenzkirch / win Kurt Reinert kennt die Stadt – jede Straße, jede Gasse. „Ich habe den Stadtplan genau im Kopf“, sagt er. Reinert ist blind. Täglich dreht er seine Runden, um die Orientierung nicht zu verlieren. Was ihm dabei hilft, ist sein Blindenstock.

Ein Herr mit Sonnbrille drückt auf den Knopf einer Signalampel
Wie orientiert sich ein blinder Mensch in Leutkirch? Kurt Reinert zeigt die sehbehindertengerechte Ampel an der Mohrenbrücke. Foto sz- Teresa Winter

„Wegen des Kopfsteinpflasters brauch ich eine große Kugel am Stockende“, erzählt der 70-Jährige während er durch die Marktstraße geht. An der Mohrenkreuzung angekommen, drückt er auf das Ampelkästchen. „Am unteren Ende befindet sich ein Knopf, der vibriert, wenn es grün wird“, erklärt Reinert und legt seinen Finger darauf.

Kurze Zeit später marschiert er los. An Ampeln ohne Signal orientiere er sich am Verkehr. „Ich weiß genau, wer wann losfahren darf“, sagt der Leutkircher. Insgesamt acht Signalanlagen an acht Kreuzungen unterhält der Landkreis Ravensburg in Leutkirch. Sie alle stehen an Kreis- oder Bundesstraßen. Zwei davon seien bereits für Blinde umgerüstet, sagt Simon Gehringer, Leiter des Straßenbauamts in Ravensburg. Die eine bei der Mohrenbrücke mit Vibration, die andere in der Oberen Vorstadstraße/Kemptener Straße mit Signalton. Ein dauerhaftes Klackern weist dort zudem auf die Ampel hin.

„Der Ton ist eine feine Sache. Da weiß man sofort, wann es grün ist“, sagt Reinert. Deshalb freue er sich, dass drei weitere Ampeln auf Tonsignal umgerüstet werden sollen – an der Wurzacher Straße/Karlstraße/Schleifweg, an der Karlstraße/Bahnhofstraße bei der Polizei und an der Mohrenkreuzung. „Weil die Ampeln an Landesstraßen liegen, haben wir dafür Sondermittel beantragt“, sagt Gehringer. Das Regierungspräsidium müsse nun darüber entscheiden.

Signalampeln und Blindenleitspuren

„Nur wenn die Mittel genehmigt werden, können wir die Ampeln blindengerecht nachrüsten“, sagt er. „Aber wir sind optimistisch, dass das in diesem Jahr noch klappt.“ 30000Euro wurden für die Umrüstung veranschlagt. Bereits vor einem Jahr hatte Reinert beim Leutkircher Behindertenbeirat auf weitere Signalampeln hingewiesen. „Es gab dann eine Ortsbegehung mit dem Landratsamt, dem Behindertenbeirat und der Straßenmeisterei“, so Reinert. Neben Signalampeln helfen auch Blindenleitspuren, die im Boden an Übergängen eingelassen sind. „Überall dort, wo Fußgängerüberwege gemacht werden, schauen wir darauf, dass dort künftig Blindenleitpflaster eingebaut werden“, sagt Stadtplaner Claudio Uptmoor. Blinde können mit ihrem Stock das weiße Pflaster erspüren und sich so leiten lassen. Solche Leitspuren gebe es bislang am Übergang vom Kronengässle zu den Arkaden und beim Kreisverkehr in der Neuen-Welt-Straße.

Dort steht Kurt Reinert. Er lauscht, dann läuft er los. „Neulich hatte ich meine Fellmütze über den Ohren, da hab ich nicht so gut gehört“, erzählt er. „Da ist’s fast schief gegangen“, fährt er fort. „Man braucht ein gutes Gehör und muss immer hoch konzentriert sein.“

1,5 Prozent Sehvermögen besitze er noch, sagt Reinert. Hell und Dunkel könne er noch unterscheiden. Vor mehr als 20 Jahren gingen die Beschwerden mit seinen Augen los. „Es war ein schleichender Prozess“, sagt er. Reinert musste seinen Beruf aufgeben, fiel danach in ein tiefes Loch. „Es war eine schwierige Zeit“, so Reinert weiter. Mittlerweile leitet er die Regionalgruppe Bodensee-Oberschwaben der Allgemeinen Blinden- und Sehbehinderrtenhilfe (ABSH) und hilft anderen Blinden. Mehr als 50 Mitglieder seien dort bereits organisiert.

Treffen für blinde Leutkircher geplant

Auch in Leutkirch möchte Reinert ein offenes Treffen anbieten. Fünf Blinde seien in der Stadt registriert, sagt er. Mit einem Blindenstock unterwegs, sei nur er, vermutet der Leutkircher. Um sich in anderen Städten wie Ravensburg, Lindau, Isny oder Friedrichshafen aufhalten zu können, absolvierte Reinert ein Orientierungstraining mit einer Trainerin. „Ich kann jetzt genau sagen, wo welche Schwierigkeiten sind“, sagt er.

Auch in Leutkirch gebe es einige Stolperstellen. „Zum Beispiel die Treppe beim Kornhausplatz ist gefährlich. Da sollte eine Markierung angebracht werden“, sagt der 70-Jährige. Außerdem seien im Winter manche Gehwege und Behindertenparkplätze sehr schlecht geräumt und der Bahnsteig am Leutkircher Bahnhof zu niedrig. Eine weitere Gefahrenquelle wurde mittlerweile beseitigt. „Am Eschachparkplatz gab es eine Stelle, wo eine Absperrung zur Eschach fehlte“, so Reinert. „Da bin ich fast den Abhang runtergefallen“, fährt er fort. Ein kurzer Anruf beim Behindertenbeirat genügte, und die Stelle wurde abgesichert. Überhaupt habe der Behindertenbeirat immer ein offenes Ohr. Während Reinert erzählt, tastet er den Weg mit seinem Blindenstock ab. „Wenn die neuen Signalampeln jetzt noch kommen, bin ich völlig zufrieden“, sagt er.

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